“Man hatte es ihm/ihr nicht angemerkt”

Ein Wuffel ist gestorben. Soweit mir zugetragen wurde, soll es sich um einen Suizid gehandelt haben. Ich weiß nicht viel über diesen Wuffel (Ein Blick auf Insta würde das vermutlich beheben, aber ich will aus Gründen nicht deep diven) und werde diesbezüglich nur mein tiefstes Beileid an Freunde und Familie ausdrücken.
Über was ich ein wenig was weiß ist, wie suizidgefährdete Menschen denken. Wie sie handeln. Und vor allem, dass man es meistens nicht merken wird, wenn es jemand ernst meint.

Die “Mitleidigen Aussagen”.

Ein Satz, den man im Zusammenhang mit Suizid immer wieder liest ist “Das hätte ich nie erwartet” oder “Das hat man der Person aber gar nicht angemerkt”. “Das ist aber traurig. Dabei war er/sie so nett.”. Das sind, glaube ich, die Sätze, die man in solchen Situationen am meisten in Gesprächen mitbekommt.
Viele haben dabei aber von dem Inneren einer Person, die so etwas tut keine Ahnung. Und in 80% der Fälle, werden diese Aussagen von Heuchlern getätigt, die die Person entweder fast gar nicht, oder nur wenig kannten. Also gar nicht wissen können, wie der Mensch wirklich war.

Suizidgedanken und -verhalten sind so unterschiedlich wie die Menschen selbst. Wie Depressionskombis. Wie Autismus könnte man sagen. Aber es gibt Parallelen, die viele Suizid-Opfer oder Menschen, die es ernsthaft versuchen, teilen.
Und es gibt auch Menschen, die Suizidgedanken vortäuschen. Aus Gründen.

Der LAUT angekündigte Suizid

Das sind die “Suizidversuche”, die uns im Leben vermutlich am häufigsten mitgeteilt werden. Sie sind laut. Kommen oft mit Drohungen wie “Ich werde mich umbringen (wenn ….)!”
Sehr oft, und da spreche ich aus Erfahrung, sind dies aber eher Aufmerksamkeitsgesuche, die oft von recht einsamen Menschen (oft erfolglos oder nicht langfristig) verwendet werden, um aus ihrer Einsamkeit, zumindest für einen Moment auszubrechen.

Leider hat dieser laut angekündigte Suizid oft eine Nachwirkung, die verheerend sein kann. Selbst wenn dieser ursprünglich nicht ernst gemeint war. Denn die Reaktionen auf so eine Ankündigung sind, gerade im Internet, einfach nur traurig.

“Dann tu es doch!”
“Bist ja immer noch hier!”
“Streamst du das?” (Das ist kein Scherz. Das habe ich wirklich mal gelesen.)

Und noch Schlimmeres. Dabei ist gerade bei diesem Thema vieles wichtig. Aber dazu möchte ich später kommen, weil das für alle Punkte zutrifft.

Die unterschwellige Ankündigung

Die, die es meist schon sehr ernst meinen, brüllen es nur selten wirklich heraus. Aber sie geben oft sehr unterschwellige Signale. Diese können vielfältig sein. Eine ungewöhnlich kurze/lange Verabschiedung nach einem Gespräch, obwohl das unüblich wäre, KANN ein Anzeichen sein.
Auch das sich weiter zurückziehen aus dem (Sozial)Leben kann tatsächlich eine unterschwellige Ankündigung sein. Oder eine (schwerere) depressive Episode.

Unterschwellige Ankündigungen bedürfen ein sehr hohes Maß an Empathie und Einfühlungsvermögen, um sie mitzubekommen. Und man müsste den Menschen schon sehr sehr sehr gut kennen. Wenn sich jemand wirklich regelmäßig zurückzieht, ist das zum Beispiel weniger ein Zeichen.
Hier ist es klüger auf Feinheiten zu achten. Zum Beispiel ungewöhnliches Kommunikationsverhalten.

Unterschwellig können auch verändertes Verhalten sein. Schlechtere Körperhygiene. Verschlossenheit. Oder auch Aggression, die ungewöhnlich ist. Ungewöhnlich ängstliches Auftreten. Es gibt viele unterschwellige Möglichkeiten. Zu viele, um dass ich sie als Blogger hier auflisten könnte.
Aber sie sind halt da und ebenfalls sehr vielfältig.

Die Schweigsamen

Es gibt viele Menschen, so vermutlich auch im Fall des eingangs erwähnten Wuffels, die das aber gänzlich mit sich selbst ausmachen. Ich kenne einige Menschen, die das genauso machen würden, weil sie niemanden in ihre Gefühlswelt lassen.
Sie benehmen sich wie immer. Sie geben ihrer inneren Traurigkeit nicht den Raum, den es benötigen würde, um gegenzusteuern. Sie wirken weiter fröhlich. Sogar ausgeglichen. Und im innern ist entweder tiefste Schwärze oder ein tosender, nicht enden wollender Sturm.

Sie möchten sich nicht dafür rechtfertigen müssen, diese Gedanken zu haben. Und dabei wird dieser Gedanke geschliffen. Wie ein Diamant. Und irgendwann, manchmal auch ganz plötzlich und ungeplant, stehen diese Menschen an einem Gleis. Wollen irgendwo hinfahren. Und irgendwas triggert sie in diesem Moment so schwer, dass dieser Diamant zu Ende geschliffen ist, und sie einfach diesen einen Schritt nach vorn machen, wenn der Zug einfährt und hoffen, dass er sie irgendwo hinbringt, wo die Schwärze wieder hell wird oder der Sturm endet.
Und so makaber es klingt: Er endet.

Für die, die es mitbekommen, ist dieser Freitod plötzlich. Aber für die betroffene Person ist das ein langer Kampf gewesen, den sie in dem Moment, wo es passiert, einfach verloren hat. Und im schlimmsten Fall gibt es keinen “Abschiedsbrief” und keiner kann diesen Kampf mehr nachvollziehen. Oder die entsprechenden Gründe.
Die Schweigsamen leiden für sich alleine und oft ist ihnen nicht bewusst, dass sie das nicht müssten. Aber ich kenne auch den Gedanken “Das versteht keiner!”. Und so schleift sich der Diamant weiter.

Der Schaden am Menschen, vom Menschen

Egal welche der drei Formen ein Mensch anwendet: Dumme Sprüche, wie schon einige oben genannt, sind nicht hilfreich. “Hab dich nicht so!”, “So schlimm ist dein Leben nun auch nicht.”, “Es könnte schlimmer sein. Du hast keinen Grund das zu tun.”
Jeder der solche Sätze schonmal von sich gegeben hat, sollte sich mal folgende Frage stellen: Wer erlaubt dir, dies zu beurteilen? Woher weißt du, der nicht in dem Körper des Betreffenden wohnt, wie seine Situation ist? Gar nicht!

Menschen sind grausam. Das wissen wir alle. Aber es gibt einen Punkt, wo die Grausamkeit zurückgehalten werden sollte. Und das ist Suizid. Egal ob es jemand ernst meint oder nicht, kann dieses Verhalten dafür sorgen, dass auf Worte Taten folgen.
Leute, die dann merken, was sie angerichtet haben, sollte der Betroffene diesen Schritt tun, haben oft ein Leben lang damit zu kämpfen, damit klar zu kommen. Weil am Ende haben sie dazu beigetragen, dass dieser Mensch den Freitod gewählt hat.

Ich bin mir zwar nicht ganz so sicher, und Google denkt jetzt vermutlich, dass ich an so einem Punkt stehe, weil ich darüber Lesen wollte, aber ich glaube, dass man sich durchaus strafbar macht, jemanden weiter in den Freitod zu treiben. Darüber sollten alle Menschen einmal nachdenken, finde ich.
Eigentlich könnte man auch sagen, wenn man nichts Hilfreiches in solchen Momenten sagen kann oder will, sollte man die Fresse halten und wirklich nichts sagen, schreiben und am besten auch nicht denken.

Die Gründe

Ich werde hier nicht alle Gründe aufzählen. Aber ich möchte ein paar Gründe aufzählen, die ich entweder selbst hatte, um über sowas nachzudenken, oder ich immer wieder lese:

– Mobbing (Schule, Arbeitsplatz oder gar im Bekannten- oder Familienkreis)
– Gebrochenes Herz (Man kann ohne Menschen xy nicht leben oder sich kein Leben vorstellen)
– Armut
– Einsamkeit
– Nicht ernst genommen werden, wenn es einem schlecht geht (Gerade bei Menschen mit Depressionen)
– Schwerer Schicksalsschlag (Tod eines wichtigen Menschen, Lüften eines schweren Geheimnisses, Ausschluss aus Freundeskreisen/Familie [z. B. bei einem Outing])
– Selbsthass (Man kann sich selbst nicht leiden aus diversen Gründen)
– Krankheit
– Leere (Innere Leere kann zu einem Gefühl des “Was soll ich noch hier?” führen und man sieht einfach keinen Sinn weiterzuleben)

Das sind die Gründe, die mir nun spontan eingefallen sind und das Leben so unendlich schwer machen können, dass man diese Gedanken einfach in Erwägung zieht.

Was tun?

Was solltet ihr tun, wenn jemand so etwas ankündigt, ob laut oder unterschwellig? Ganz einfach: “Zuhören” (Oder lesen. Wie auch immer.). In Gruppen sollte man das Thema aus der Gruppe höflich herausziehen und das persönliche Gespräch suchen. Anschließend Nachfragen, wo es Probleme gibt. Zuhören. Aufpassen, was und wie es gesagt wird. Was gibt diese Person über sich und ihre Pläne eigentlich preis?
Ach und “Tu das nicht!” Ist keine Hilfe. Das zeigt kein Interesse und noch weniger Mitgefühl. Am Ende möchten die Betroffenen einfach nur gehört / gelesen werden. Vielleicht oft auch einen Moment Aufmerksamkeit.

In solchen Momenten sollte man auch immer entsprechende Hilfsangebote parat haben (Suchmaschine hilft) und sanft versuchen, die Person zu überzeugen, dass sie diese wenigstens einmal in Anspruch nimmt.
Wenn ihr jemanden beim Vollziehen erwischt, bleibt allerdings nur die harte Tour: Erste Hilfe leisten, Krankenwagen rufen, oder (wenn die Art des Versuchs noch nicht gravierend ist) die Person sofort in eine psychiatrische Klinik bringen. Unter https://klinikradar.de/psychiatrie/kliniken/ könnt ihr direkt nach Kliniken in eurem Bundesland suchen.

Was aber von allem am wichtigsten ist: Geduld haben und ernst nehmen. Habt Geduld mit diesen Menschen und nehmt vor allem ihre Sorgen ernst. Das Verharmlosen oder Relativieren der Begründungen, richtet mehr Schaden an, als ihr selbst vermutlich erreichen wollt.

“Was ist wenn ich merke, dass ich das nicht mehr kann?”

Die Frage ist sehr berechtigt. Je intensiver und tiefer das Gespräch wird, kann es dazu führen, dass einem selbst die Kraft fehlt, das Gespräch weiter zu führen. Am Ende müsst ihr das Gespräch dann beenden. Mit einem Hinweis darauf, dass es Hilfsangebote gibt und ihr vielleicht sagt, dass ihr gerne mehr helfen wollt, aber leider nicht könnt.
Die Last eines Anderen auf der eigenen Schulter mitzutragen, ist nicht leicht und viele übernehmen sich dabei und machen trotzdem weiter. Aber wie auch bei erster Hilfe gilt: Die eigene (in dem Fall psychische) Gesundheit geht vor!

Wichtig sind halt Ehrlichkeit, Geduld, Ernstnehmen und Zuhören. Und wenn ihr fertig seid mit dem Gespräch, egal wie es endet, kann es vielleicht auch helfen, selbst zum Telefon und der Seelsorge zu greifen. Seid dabei aber diskret und gebt nicht die Daten des anderen Betroffenen preis.

Gefahr im Verzug

Wenn ihr merkt, online wie offline, dass sich jemand selbst das Leben nehmen möchte, weil er euch zum Beispiel eine Abschiedsnachricht schickt und / oder ein Foto vom Ort, wo diese Person ist, ruft die Polizei. Gebt der Polizei auch alle Daten, die ihr geben könnt. Sei es Facebook Name, Telefonnummer etc.. Alle diese Daten können helfen, die Person ausfindig zu machen und sie vielleicht vor einem Fehler zu bewahren.
Jetzt könnte man natürlich darüber streiten “Aber die Person will es doch so?”. Mag sein. Aber am Ende sind Suizidversuche auch oft spontan und aus dem Affekt heraus. Manchmal fehlt den Menschen nur einen Moment lang die Sicht auf die Dinge, für die es sich zu leben lohnt, gerade weil alles so finster im Kopf ist.

Und am Ende könnte man genauso argumentieren, dass diese Benachrichtigungen über den Versuch ein Hilfeschrei sein können. Also ist es an jedem, der sowas bekommt, es ernst zu nehmen und wenigstens zu versuchen, es zu verhindern.

Nahestehende der Betroffenen

Solltet ihr einen Suizid in eurem Umkreis erleben, empfehle ich ebenfalls, wenigstens für die erste Zeit, die Telefonseelsorge zu verwenden oder psychologischen Beistand zu suchen, auch wenn es in Deutschland selbst wieder ein Grund wäre depressiv zu werden.
Auch Selbsthilfegruppen für Angehörigen von Suizidopfern sollte es in vielen Städten geben, die euch mit dem Umgang eurer Gefühle helfen können. Wichtig ist jedoch, dass ihr den Betroffenen nicht hasst, ihn verflucht oder in eurer Traurigkeit versinkt. Oder dass ihr euch die Schuld gebt, denn selten sind die Schuld, die wirklich aus tiefstem Blutzirkulationsorgan trauern. Die Person hat die Entscheidung getroffen und wird ihre Gründe dafür gehabt haben.

Schlusswort

Wir leben in einer aggressiven Welt, in der wir vieles nicht ernst nehmen. Aber bei Themen wie diesem, sollte aller Spaß, alle Wut, aller Hass beiseitegeschoben werden und es sollte wenigsten versucht werden zu helfen.
Ich richte meine Worte heute bewusst nicht an Betroffene. Aus eigener Erfahrung weiß ich, was ihnen durch den Kopf geht und nicht jeder schafft es, die andere Seite gewinnen zu lassen.

Wenn ihr jemanden braucht, der euch zuliest und vielleicht auch Tipps geben kann, oder ihr wollt anderen zeigen, dass sie nicht allein sind mit ihren Sorgen, steht euch mein Projekt Take my Help jederzeit zur Verfügung.

Und egal ob Seelsorge, Take my Help oder andere Hilfsdienste: Es sind Menschen am anderen Ende, die sich eure Sorgen anhören, bzw. durchlesen. Gebt ihnen Zeit zu reagieren und seid nicht böse, wenn sie es nicht können.

Passt alle auf euch und eure Gedanken auf.

Achte auf deine Gedanken,
denn sie werden Worte.
Achte auf deine Worte,
denn sie werden Handlungen.
Achte auf deine Handlungen,
denn sie werden Gewohnheiten.
Achte auf deine Gewohnheiten,
denn sie werden dein Charakter.
Achte auf deinen Charakter,
denn er wird dein Schicksal.
(Talmud)

Gerry

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2 Kommentare zu „“Man hatte es ihm/ihr nicht angemerkt”“

  1. Als aller erstes will ich danke sagen💙 nicht viele trauen sich offen über sowas zu reden geschweige den, alles an Infos zu sammeln die dieses Thema betreffen.
    Viele aus meinem Bekanntenkreis sagen immer „ach was, die sollen sich nicht so anstellen, ist nur ein schlechter Tag“ dabei weis ich selber auch durch mich, das dies nicht nur ein „schwerer Tag“ ist/war.

    Auch wie das Thema Depression und suizid Gedanken entweder tot geschwiegen wird oder runter gespielt wird, macht mir persönlich Angst und traurig. Hätte ich meinen Bruder nicht, dann würd ich das hier nicht schreiben können.

    Vielleicht ist das gerade fehl am Platz oder ich treffe gerade ein empfindliches Thema, ich weis es nicht aber was ich wirklich sagen will noch dazu ist:
    Ich danke dir für die ganzen Infos und mach weiter so💙

    1. Gern geschehen. Ich finde es einfach sehr wichtig. Gerade weil vieles Verharmlost und totgeschwiegen wird. Auf diesem Blog schreibe ich ja generell viel zu schwierigen Themen. Wie auch depressionserkrankungen.

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